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UN Bevölkerungsprognosen Revision 2022

Die United Nations Population Division (UNPD) hat am 11. Juli 2022 – dem Weltbevölkerungstag – seine aktualisierten globalen Bevölkerungsprognosen veröffentlicht. Diese Zahlen stellen die Grundlage für zahlreiche Studien und Strategien auf der ganzen Welt dar. Es lohnt sich daher, die Prognosen tiefgründig zu analysieren und verstehen.

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Die wichtigsten Ergebnisse wurden in der weltweiten Presse publiziert. Hier die Zusammenfassung:

• Die Weltbevölkerung wird im November 2022 8 Milliarden erreichen.

• 9 Milliarden werden im Jahr 2038 erreicht, 10 Milliarden im Jahr 2059. Dies ist deutlich später, als in der Revision 2019.

• Ab dem Jahr 2086 beginnt die Weltbevölkerung zu schrumpfen.

• Das Wachstum der Weltbevölkerung hat sich deutlich verlangsamt und liegt bereits heute unter 1% pro Jahr.

• Die Bevölkerung in Europa ist seit 2021 bereits am schrumpfen.

Ein genauerer Blick auf die Prognosen löst bei Demografen aber weitere Fragen aus. Die neuen Prognosen unterscheiden sich deutlich von der letzten Publikation der UNPD im Jahre 2019. Konkret wurden die Prognosen signifikant nach unten korrigiert, das mittlere Szenario des Jahres 2019 prognostizierte noch ein Bevölkerungswachstum bis zum Ende des Jahrhunderts. Eine im Jahr 2020 in der Lancet publizierte Bevölkerungsprognose des IHME hatte unabhängig von der UN Population Division bereits für Gesprächsstoff gesorgt, da auch diese wissenschaftlich fundierte Prognose deutlich tiefere Zahlen prognostizierte als die UNPD. Dies wurde in erster Linie durch andere Annahmen zu Geburtenraten in Afrika begründet. Es wurde argumentiert, dass ein höheres Bildungsniveau von Frauen in Afrika zu einer deutlichen und schnellen Reduktion der Geburtenraten führen wird. Unter diesen Annahmen resultiert ein Bevölkerungsrückgang bereits im Jahr 2060.

Nun stellt sich die Frage, ob die UNPD zu ähnlichen Schlüssen gekommen ist, oder ob die veränderten Prognosen auf aktuellen Entwicklungen seit 2019 beruht. Dazu haben die Analysten von Demografik einen genaueren Blick auf die Daten und die Annahmen die dahinter stecken geworfen.

Vergleich zwischen den beiden Revisionen

Spannend ist zunächst der direkte Vergleich der prognostizierten Weltbevölkerung im jeweiligen mittleren Szenario. Abbildung 1 stellt die prognostizierte Weltbevölkerung in den beiden Revisionen dar. Es ist offensichtlich, dass das langfristige Bevölkerungswachstum deutlich nach unten korrigiert wurde, aber auch kurzfristig sind bereits leichte unterschiede erkennbar. Eine Analyse der Einflussfaktoren zeigt dafür die folgenden Gründe:

• Die gesamte Fertilität der Weltbevölkerung wurde langfristig um ca. 0.1 reduziert, von 2,2 auf 2,1.

• Im Zeitraum bis 2035 wurden die erwarteten Geburtenraten einiger asiatischer und nordamerikanischer Länder deutlich reduziert. Bemerkenswert ist v.a. die Reduktion der erwarteten Geburtenrate in China von durchschnittlich 1,7 Kindern pro Frau auf weniger als 1,3.

• Diese Reduktion der Geburtenraten in einigen Ländern wird aber vollständig von einer erhöhten Geburtenrate in afrikanischen Ländern, Indien sowie Afghanistan kompensiert.

• Dies führt auch dazu, dass Indien China als bevölkerungsreichstes Land der Welt bereits früher überholen wird als noch vor drei Jahren erwartet: bereits nächstes Jahr wird Indien das bevölkerungsreichste Land der Welt sein (im Gegensatz zum ursprünglich prognostizierten Jahr 2027). Dies ist in Abbildung 3 dargestellt.

• Chinesische Frauen haben aktuell im Durchschnitt 1,17 Kinder. Das ist deutlich tiefer als zu Zeiten der Ein-Kind-Politik, die im Jahr 2016 beendet wurde!

• Langfristig wurden besonders die erwarteten Geburtenraten der grossen afrikanischen Länder deutlich reduziert. Aber auch die Prognosen für Europa, die USA und grosse Teile Asiens fallen pessimistischer aus.  

Der zweite Einflussfaktor für die Bevölkerungsprognosen ist die Lebenserwartung. Auch hier gibt es Änderungen zur letzten Revision.

• In ausnahmslos allen Ländern wird ein stetiger Anstieg der Lebenserwartung prognostiziert (trotz aktuell gegenläufigen Entwicklungen in bspw. Mexiko oder den USA). Dies war auch in der letzten Revision der Fall.

• In den grossen asiatischen Ländern sowie den USA wurde der erwartete Anstieg der Lebenserwartung erhöht.

• In vielen Entwicklungsländern, insbesondere in Afrika aber auch in Asien, wurde der Anstieg der Lebenserwartung deutlich reduziert

• Auch in einigen europäischen Ländern wird nun ein langsamerer Anstieg der Lebenserwartung prognostiziert (u.a. in Moldawien, Polen, Island, Griechenland, Niederlande, Portugal).

• Insgesamt fallen die Adjustierungen der Lebenserwartung aber deutlich kleiner aus als diejenigen der Fertilität.

Folgen für die Bevölkerungsentwicklung der Kontinente

Abbildung 3 zeigt die prognostizierten Bevölkerungsentwicklungen pro Kontinent für beide Revisionen. Nicht nur in Afrika, sondern in allen Kontinenten wird eine tiefere Bevölkerung prognostiziert als in der 2019 Revision angenommen wurde. Lediglich in Asien ist fast keine Änderung ersichtlich. Hier kompensieren sich die gegenläufigen Entwicklungen in China und Indien. Erschreckend ist der Bevölkerungsrückgang in Europa. Für einige Osteuropäische Länder (Bulgarien, Lettland, Litauen, Serbien und Ukraine) wird ein Bevölkerungsrückgang von über 20% bis 2050 erwartet. Aber auch grosse Nationen wie Deutschland, Italien und Spanien sind bereits am Schrumpfen. Die Prognosen für Nordamerika wurden ebenfalls deutlich nach unten revidiert. Im Jahr 2100 beträgt die Differenz zwischen den beiden Revisionen in Europa 42 Millionen Personen und in Nordamerika 43 Millionen. Weltweit werden gemäss der neuen Revision im Jahr 2100 mehr als eine halbe Milliarde weniger Menschen leben, als noch 2019 angenommen wurde.    

Fazit

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sich die UNPD-Prognosen in einigen Punkten denjenigen des IHME annähern, insbesondere bei den Prognosen der Fertilität in Afrika. Stärker fallen aber die speziellen Entwicklungen der letzten drei Jahre ins Gewicht. Insbesondere die drastische Reduktion der Geburtenrate in China dürfte dramatische Konsequenzen für die chinesische Wirtschaft und Gesellschaft haben. Es stellt sich die Frage, welcher Anteil der Entwicklungen seit 2019 der COVID-19 Pandemie zuzuschreiben ist, und inwiefern sich diese Trends fortsetzen oder umkehren werden. Trotz der Anpassungen der Fertilität bleibt es deutlich, dass Afrika und Indien die neuen Bevölkerungszentren der Welt werden. Der Bevölkerungsrückgang in Europa war bereits im Jahr 2019 erschreckend und beschleunigt sich mit der neuen Revision.