Studien

Entwicklung des Fachkräftemangels im Bauhauptgewerbe

Demografik führte im Auftrag des Schweizerischen Baumeisterverbands (SBV) eine Studie zum Thema Fachkräftemangel im Bauhauptgewerbe durch. Im folgenden Artikel werden die wesentlichen Ergebnisse der Studie erläutert.

Link zur Studie

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Das Bauhauptgewerbe leidet unter einem Fachkräftemangel. Darauf deuten die sehr tiefe Arbeitslosigkeit sowie Erfahrungsberichte von Baufirmen hin. Diese Ausgangslage soll genutzt werden, um tiefergehende Fragen zu beantworten: In welchen Berufen des Bauhauptgewerbes wird sich der Personalmangel in den kommenden Jahren vergrössern? Wie viele Personen werden fehlen? Mit welchen Massnahmen lässt sich der Mangel beheben? Demografik hat im Auftrag des Schweizerischen Baumeisterverbandes (SBV) in einer Studie die Fachkräftesituation im Bauhauptgewerbe analysiert, eine Prognose für Fachkräftebedarf und Fachkräfteangebot auf Ebene einzelner beruflicher Funktionen für den Zeitraum bis 2040 erstellt und evaluiert, wie ausgewählte Massnahmen den Mangel kompensieren könnten. Die Studie umfasst eine Prognose der zukünftigen Umsatzentwicklung und dem sich daraus ergebenden Personalbedarf. Zudem wurde ein Modell basierend auf den vorhandenen Daten entwickelt, welches das Karrieresystem im Bauhauptgewerbe abbildet. Durch Abändern von Stellschrauben können so verschiedene Massnahmen evaluiert und verglichen werden. Um den zukünftigen Personalbedarf gegeben einer Umsatzentwicklung prognostizieren zu können, wurden Experten befragt, die den Einfluss von Digitalisierung und Automatisierung einschätzen.

Die Studie erbringt mehrere nützliche Resultate. Erstens prognostiziert sie den Umsatz für die nächsten 20 Jahre je Sparte. Dies erlaubt es Baufirmen, sich strategisch auf Märkte auszurichten. Zweitens zeigt die Studie auf, wie sich sowohl das Angebot an als auch die Nachfrage nach zehn für das Bauhauptgewerbe zentralen beruflichen Funktionen entwickeln werden. Dies ermöglicht Baufirmen, ihre Personal- und Kapitalplanung vorausschauend zu gestalten. Drittens simuliert die Studie, welchen Einfluss bildungspolitische Massnahmen auf das Angebot bzw. die Nachfrage in einer Funktion ausüben. Dementsprechend können die Bildungsakteure und Unternehmen ihre Ressourcen zielgerichtet einsetzen und Massnahmen gemäss den in der Studie visualisierten Stellschrauben konzipieren.

Ergebnisse der Studie

Die demografische Entwicklung war in den vergangenen Jahrzehnten für das Bauhauptgewerbe vorteilhaft. Dies sowohl durch eine hohe Nachfrage nach Baudienstleistungen, insbesondere aber auch durch eine sehr grosse Anzahl an verfügbaren Arbeitskräften. Die Demografie wird auch in Zukunft zu einem weiteren – wenn auch verlangsamten – Wachstum der Bautätigkeit und damit der Personalnachfrage beitragen. Das Bauhauptgewerbe erzielte 2020 einen Umsatz von etwa 22 Mrd. Franken. Im Jahrzehnt davor betrug das reale, preisbereinigte Umsatzwachstum im Durchschnitt 1.1% pro Jahr. Das Umsatzwachstum dürfte sich künftig abschwächen. Gemäss dem mittleren Prognoseszenario wird der Umsatz real von 2021 bis 2040 mit 0.35% pro Jahr wachsen. Das optimistische Szenario rechnet mit einem Wachstum von jährlich 0.58% bis 2040, das pessimistische mit 0.1%.

Der aktuelle Fachkräftemangel in den Funktionen Maurer* EFZ (abgeschlossene Grundbildung), Bauvorarbeiter und Baupolier wird sich in den kommenden 20 Jahren noch deutlich verschärfen, insbesondere zwischen heute und 2030.

Im Jahr 2040 bräuchte es – gemessen an der von der Bautätigkeit abgeleiteten Nachfrage – 30% mehr Maurer und 33% mehr Bauvorarbeiter als voraussichtlich verfügbar sein werden, um die geplante Bautätigkeit stemmen zu können. Der Haupttreiber dieser Entwicklung ist der deutliche Altersüberhang in den Funktionen Maurer, Bauvorarbeiter und Baupolier. Gleichzeitig wird sich der verfügbare Pool an Arbeitskräften aber verkleinern. Dies äussert sich in hohen Pensionierungszahlen und tiefen Lehrabschlusszahlen. Bei den Maurern kommen erschwerend eine geringe Branchentreue sowie sinkende Absolventenzahlen hinzu. Da die Maurer nebst den Strassenbauern den Grundstein für das gesamte Karrieremodell bilden, wirkt sich dies zeitverzögert auch auf die Kaderfunktionen aus.

Die Strassenbauer sind eine wachsende Funktion, einerseits aufgrund der jungen Altersstruktur, andererseits aufgrund höherer Branchentreue und tieferer Weiterbildungsraten als bei den Maurern. Bei gleichbleibenden Trends entsteht hier sogar ein Überschuss. Dies könnte sich in steigender Arbeitslosigkeit oder sinkenden Löhnen äussern. Die Baufirmen empfanden in der Vergangenheit einen Mangel bei der Verfügbarkeit von Bauführern. Die Modellergebnisse zeigen, dass bei den Bauführern der Höhepunkt des Fachkräftemangels aber bereits erreicht sein dürfte. Durch eine junge Altersstruktur und relativ hohe Absolventenzahlen bleibt die Fachkräftesituation in dieser Funktion stabil auf einem angespannten Niveau.

Massnahmen

Die Studie evaluiert vier mögliche Massnahmen zur Bekämpfung des Fachkräftemangels:

- Erhöhung der Anzahl Quereinsteiger auf Stufe Kader

- Reduktion der Branchenausstiege auf Stufe berufliche Grundbildung (BGB) und höhere Berufsbildung (HBB)

- Erhöhung der Anzahl Maurerlernenden

- Erhöhung der Weiterbildungsquote der Maurer und Strassenbauer

Keine der vier Massnahmen allein vermag den erwarteten Fachkräftemangel innert nützlicher Frist nennenswert reduzieren. Den grössten Effekt haben:

-Erhöhung Quereinsteiger auf Stufe Kader

-Erhöhung der Weiterbildungsquoten von Maurern und Strassenbauern

Bei einer Erhöhung der Weiterbildungsquoten von Maurern muss aber beachtet werden, dass dies den Gesamtbestand an Maurern weiter reduziert. Der resultierende Zielkonflikt muss vorsichtig abgewogen werden.

Gar mehrere Massnahmen gemeinsam evaluiert können nicht den gesamten Fachkräftebedarf decken. In der folgen Grafik sind die drei Massnahmen mit dem grössten Einfluss (Erhöhung der Anzahl Quereinsteiger auf Stufe Kader, einer Erhöhung der Anzahl Maurerlernenden sowie einer Senkung der Branchenausstiegsquoten) kumuliert abgebildet.

Sie würden den Mangel bei den Maurern bis zum Jahr 2030 um 23%, bei den Bauvorarbeitern um 25% und bei den Baupolieren um 37% senken. Mit allen diesen Massnahmen zusammen schafft man es also nicht, den Fachkräftemangel in den Funktionen Maurer und Bauvorarbeiter auf null zu reduzieren. Selbst bei den Baupolieren, wo bis zum Jahr 2040 eine fast vollständige Kompensation möglich wäre, öffnen sich in den 20 Jahren davor bedeutsame Lücken. Wenn nicht noch weitere, zeitnahe Massnahmen ergriffen werden, muss in all diesen Berufen mit einem dauerhaften Mangel gerechnet werden. Dies hat signifikante praxisrelevante Auswirkungen. Wenn Arbeitskräfte in diesem Ausmass fehlen, werden bei den aktuellen Strukturen auch Umsatzziele nicht erreicht werden können.

Aussagen von Brancheninsidern zeigen, dass insbesondere in kleineren Unternehmen oftmals noch Vorbehalte gegenüber dem Einsatz neuer technologischer Hilfsmittel oder einer Aufweichung des traditionellen Karrieresystems (und demzufolge in der Aufgabenteilung zwischen den Funktionen) im Bauhauptgewerbe vorherrschen. Erfolge bei der Bekämpfung des aktuellen Fachkräftemangels wurden bei kleineren Unternehmen bisher bei der berufsbegleitenden Weiterbildung von Bauarbeitern ohne Lehrabschluss zu Maurern erzielt. Grossunternehmen sind deutlich innovativer als KMUs. Sie haben die bedrohliche zukünftige personelle Lage erkannt und investieren bereits in alternative Produktionsformen, die einen effizienteren Einsatz des knappen Arbeitskräftepools ermöglichen werden. Der Mangel an Fachkräften ist teilweise mit bildungspolitischen Massnahmen kompensierbar. Teilweise werden Unternehmen jedoch ihren Maschinenpark und Kapitalstock anpassen müssen, teilweise werden Bauprojekte aufgrund fehlender Kapazitäten verschoben oder verzögert.

Die in dieser Studie präsentierten Ergebnisse werden den Fachkräftemangel für einen Teil der Unternehmen überschätzen, nämlich bei den innovativsten Unternehmen, die einzelne Arbeitsschritte automatisieren oder an andere Branchen auslagern können. Der grösste Teil der Unternehmen wird diese Möglichkeit aber nur nutzen können, wenn ein fundamentales strategisches Umdenken stattfindet. Der prognostizierte Fachkräftemangel in vielen Funktionen könnte bei manchen Baufirmen den Ausschlag dazu geben.